Erfahrungsorientiertes Lernen stellt ein didaktisches Konzept dar, bei welchem Unterrichtsinhalte durch die Lehrenden mit dem Ziel der Denkprozess-, Emotions- und Phantasieanregung der Lernenden aufbereitet werden (vgl. Jank & Meyer, 1991, 335; Scheller, 1978, 68).
Der Entwicklung des Konzeptes des erfahrungsorientierten Lernens geht die Kritik am Lehren und Lernen Ende der 70er Jahre voraus. Einige Kritikpunkte beziehen sich auf die fehlende Wahrnehmung der Lehrenden für emotionsgebundene Themen, den lehrer:innendominierenden Frontalunterricht und die Stigmatisierung aufgrund des dreigliedrigen Schulsystems (vgl. Scheller, 1981, 53). Der Bedarf einer sinnlich-praktischen Aneignung von Unterrichtsinhalten wird deutlich. Laut Scheller (1981, 53) soll Lernen unabhängig von schulischen Vorgaben erfolgen. Somit ergibt sich die Forderung eines eigenen Arbeits- und Lernrhythmus.
Im Sinne des Konzeptes des erfahrungsorientierten Lernens sollen die Lernenden Erfahrungen im Hinblick auf die behandelte Thematik sowie die symbolischen Formen sammeln. Die symbolischen Formen dienen der Darstellung, Aneignung, Verarbeitung oder Veröffentlichung der Thematiken. Darüber hinaus stellen soziale Beziehungen, welche die Lernenden bei der Auseinandersetzung mit der Thematik eingehen, wichtige Erfahrungen dar. Lernerfahrungen sind zudem nicht gebunden an den Lernort Schule, sondern können auch außerhalb dessen (z.B. auf Exkursionen) gesammelt werden (vgl. ebd., 53ff.). Weitere Charakteristika des Ansatzes ergeben sich in der Zielsetzung des erfahrungsorientierten Lernens. Das Ziel stellt die Arbeit an Haltungen dar, denn laut Martens et al. (1996, 59) „[werden] Erlebnisse und Erfahrungen […] mit Informationen zu Haltungen verarbeitet.“ Gesellschaftlich nützliches Wissen durch unmittelbare Erfahrungen wird als bedeutsam für die Lernenden angesehen. Durch dieses Wissen werden die Lernenden handlungswirksam. Zusammenfassend kann durch Wissen und Erfahrung gelernt werden und Lernen kann wiederum zur Haltungsentwicklung beitragen (vgl. Scheller, 2010, 188).
In Hinblick auf die praktische Umsetzung des Konzeptes des erfahrungsorientierten Lernens in der (berufsbildenden) Schule führt Scheller (1987, 64 ff.) den Vorschlag der Aufbereitung des Unterrichts im Sinne des erfahrungsorientierten Lernens in drei Phasen auf. Diese Phasen können ebenfalls als Artikulationsschema (Verlinkung) dienen. Zu Beginn steht Phase 1 „Aneignung von Erfahrungen“, gefolgt von Phase 2 „Verarbeiten von Erfahrungen“ und abgeschlossen wird das erfahrungsorientierte Lernen mit der Phase 3 „Veröffentlichung von Erfahrungen“ (vgl. ebd.). Im Austausch mit Scheller entwickelten Ruwe und Oelke zudem eine pflege- bzw. gesundheitsdidaktische Akzentuierung des Szenischen Lernens als mögliche Umsetzung des erfahrungsorientierten Lernens. Die übergeordnete Zielsetzung besteht darin, die Lernenden in den Pflege- und Gesundheitsberufen über die szenische Bildungsarbeit anzuregen und zu fördern (vgl. Oelke, 2023, 3). Diese Anregung und Förderung bezieht sich dabei unter anderem darauf,
„sich mit dem eigenen Körper, seinen Empfindungen und Reaktionen vertraut zu machen […], sich die Wahrnehmungen, Projektionen, Abwehr- und Integrationsmechanismen […] bewusst zu machen, […]. Die Bedürfnisse, Gefühle, Wünsche und Abwehrmechanismen ihrer Patient*innen wahrzunehmen, zu akzeptieren […], zwischen den eigenen Bedürfnissen und Lebensentwürfen und denen der Patient*innen zu unterscheiden und dort, wo sie sich überfordert fühlen oder Grenzen überschritten werden, Grenzen zu setzen, ohne das Gegenüber zu erniedrigen (Oelke, 2023, 4)“.
Jank, W. & Meyer, H. (2005). Didaktische Modelle. (5. Auflage). Berlin: Cornelsen
Martens, M., Sander, K. & Schneider, K. (Hrsg.). (1996). Didaktisches Handeln in der Pflegeausbildung. Brake-Unterweser: Prodos.
Oelke, U. (2023). Erfahrungsbezogenes Lernen in den Gesundheitsfachberufen. In: Darmann-Finck, I. & Sahmel, K. (Hrsg.): Pädagogik im Gesundheitswesen. Berlin: Springer Reference Pflege – Therapie – Gesundheit. S. 1-15.
Scheller, I. (1987). Erfahrungsbezogener Unterricht. Praxis, Planung, Theorie. Königstein/TS: Scriptor Verlag.
Scheller, I. (2010). Szenisches Spiel. Handbuch für die pädagogische Praxis. (10 Auflage). Berlin: Cornelsen.
Kiper, H. & Mischke, W. (1981). Theorie des Unterrichts. Weinheim: Beltz.
Oelke, U. & Scheller, I. (2000). Das szenische Spiel als Lernform. In Oelke, U./ Scheller, I. & Ruwe, G. (Hrsg.). Tabuthemen als Gegenstand szenischen Lernens in der Pflege. Bern: Hans Huber. S. 35-42.
Oevermann, U. (1997). Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns. In: Combe, A. & Helsper, W. (Hrsg.). Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns. Frankfurt: Suhrkamp, S.70-182.
Seel, N.M. (2000). Psychologie des Lernens. München: Ernst Reinhardt.